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Astronomie

Neuer Blick auf „Regler“ des Universums

Künstliche Intelligenz grenzt kosmologische Parameter ein – und bestätigt Widersprüche

kosmologische Parameter
Unser Universum lässt sich durch sechs Parameter beschreiben – sie sind gewissermaßen die Grundeinstellungen des Kosmos. © sharanand, kingwin/ iStock

Unser Universum lässt sich mit nur sechs Zahlen beschreiben. Doch die genauen Werte für diese kosmologischen Parameter sind strittig. Jetzt haben Astrophysiker eine künstliche Intelligenz auf das Problem angesetzt – mit teils überraschenden Ergebnissen. Denn die KI präzisiert die aus der Galaxienverteilung abgeleiteten kosmologischen Grundeinstellungen. Sie bestätigt aber auch die Diskrepanzen bei der Hubble-Konstante und der Materieverteilung im Kosmos, wie das Team in „Nature Astronomy“ berichtet. Was aber heißt dies für unser kosmologisches Standardmodell?

Sie sind die Stellknöpfe unseres Universums: Sechs Parameter beschreiben, welche Gesetzmäßigkeiten unseren Kosmos prägen und wie er sich seit dem Urknall entwickelt hat. Sie sind im geltenden kosmologischen Modell der „kalten Dunklen Materie“ (ΛCDM) zusammengefasst. Zu diesen Parametern gehören der Anteil und die Verteilung der normalen und gesamten Materie (Ωb, Ωm, S8), zwei Werte zu Fluktuationen und Strahlungsdurchlässigkeit des frühen Kosmos sowie die Hubble-Konstante H0, die die kosmische Expansion beschreibt.

Rätselhafte Diskrepanzen

Das Problem jedoch: Bisher sind diese sechs Parameter nicht genau genug ermittelt – und bei mindestens zwei von ihnen gibt es nicht erklärbare Diskrepanzen. So ist die Materie im Kosmos rund acht Prozent homogener verteilt als sie sein dürfte. Bei der Hubble-Konstante liefern Messungen zwei deutlich unterschiedliche Gruppen von Werten. Welche stimmen, ist strittig. Basis für die Messungen bilden meist große Himmelsdurchmusterungen, die die Verteilung und Entfernungen von Galaxien zeigen.

Doch die nötigen Informationen aus diesen riesigen Datensätzen zu extrahieren, ist schwierig und je nach Methodik anfällig für Verzerrungen. „Wir wissen seit Jahren, dass in diesen Daten noch mehr Informationen stecken, aber uns fehlte eine geeignete Methode“, erklärt Erstautor ChangHoon Hahn von der Princeton University. Vor allem kleinmaßstäbige Indikatoren für die Gesetzmäßigkeiten ließen sich daher nicht extrahieren.

Ablauf der Studie
Ablauf des KI-Trainings und der Analysen. © Lucy Reading-Ikkanda/ Simons Foundation

Künstliche Intelligenz als Kosmologe

Eine Lösung für dieses Dilemma könnten Hahn und sein Team nun gefunden haben. Sie haben untersucht, ob künstliche Intelligenz dabei helfen kann, die kosmologischen Parameter genauer einzugrenzen. Für ihre Studie erstellten die Astrophysiker zunächst rund 2.000 virtuelle Modelle unseres Universums, in denen sie die sechs Parameter leicht variierten. Sogar Verzerrungen und Fehler, wie sie bei Himmelsdurchmusterungen durch Teleskope und atmosphärische Störeffekte entstehen, fügten sie hinzu.

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Im nächsten Schritt trainierte das Team zwei verschiedene KI-Systeme auf Basis neuronaler Netzwerke darauf, aus diesen simulierten Beobachtungsdaten die kosmologischen Parameter zu ermitteln. Die KI-Modelle lernten dabei, wie die Galaxienverteilung und diese Parameter zusammenhängen. Dann folgte der eigentliche Test: Die fertig trainierten KI-Systeme bekamen nun reale Beobachtungsdaten aus dem Baryon Oscillation Spectroscopic Survey (BOSS), die knapp 110.000 Galaxien umfassten. Welche Werte würde diese „Simulation-Based Inference of Galaxies“ (SimBIG) getaufte Methode ergeben?

Kosmologische Parameter eingegrenzt

Das Ergebnis: Die KI-Modelle schafften es, die Werte für fünf der sechs kosmologischen Parameter im Vergleich zu bisherigen Analysen mit derselben Datenbasis deutlich einzugrenzen. So erhöhte die KI-gestützte Analyse die Präzision für den Anteil normaler Materie (Ωb) um das 1,6-Fache, für die gesamte Materie (Ωm) um das 1,2-Fache. Für die strittige Hubble-Konstante sind die neuen Werte rund 1,5-mal enger gefasst und für die Materieverteilung sogar 2,32-fach präziser, wie Hahn und seine Kollegen berichten.

Damit erreichte die SimBIG-KI schon mit nur zehn Prozent der gesamten BOSS-Daten eine Genauigkeit, für die Astronomen mit gängigen Methoden den gesamten Datensatz benötigen. Nach Ansicht von Hahn und seinem Team eröffnet ihr Ansatz daher die Chance, die kosmologischen Parameter künftig noch genauer zu bestimmen – indem man die bestehenden Datenkataloge komplett mittels KI auswertet und dabei nach den bisher durch das Raster gefallenen Informationen sucht.

„Jede dieser Durchmusterungen kostet Millionen bis Milliarden US-Dollar – und ihr Hauptzweck ist die Klärung der kosmologischen Parameter“, sagt Koautorin Shirley Ho vom Flatiron Institute in New York. „Daher müssen wir die bestmöglichen Analysen einsetzen, um so viele Erkenntnisse wie möglich aus ihnen zu gewinnen.“

Und was ist mit den Diskrepanzen?

Auch zu den bisher rätselhaften Abweichungen lieferten die KI-Analysen neue Einblicke. So bestätigen die von Hahn und seinem Team ermittelten Werte für die Materieverteilung bisherige Messungen auf Basis von Gravitationslinsen. Sie passen aber auch zu den mittels Hintergrundstrahlung ermittelten Dichtefluktuationen im frühen Kosmos. „Unser Wert für die Materieverteilung (S8) ist im Rahmen der statistischen Unsicherheiten damit konsistent“, so das Team. Damit liegt dieser Wert zwischen den bisherigen Extremen.

Weniger eindeutig ist die Lage bei der Hubble-Konstante. Denn die beiden SimBIG-KI-Modelle waren sich in diesem Parameter nicht ganz einig. Dennoch sind beide Werte niedriger als die mittels Entfernungsmessung bei Supernovae, Roten Riesen und veränderlichen Sternen in früheren Studien ermittelten Hubble-Konstanten. „Unsere H0-Werte sind konsistent mit Messungen auf Basis der komischen Hintergrundstrahlung und stehen in Spannung zu diesen aktuellen Messwerten“, konstatieren die Astronomen.

Erst der erste Schritt

Hahn und seine Kollegen sehen darin einen ersten Schritt – und weitere müssen nun folgen. Sie hoffen, dass die Anwendung ihrer SimBIG-Ki auf größere und künftige Datenkataloge noch genauere Werte für die kosmologischen Parameter liefern wird. Möglicherweise enthüllen diese Analysen dann sogar die Ursache für die bleibenden Widersprüche.

„Wenn wir die Werte noch genauer messen und sicher sagen können: Hier besteht ein Widerspruch, dann könnte dies vielleicht noch unerkannte Physik zur Dunklen Energie und der Expansion des Kosmos enthüllen“, sagt Hahn. (Nature Astronomy, 2024; doi: 10.1038/s41550-024-02344-2)

Quelle: Simons Foundation

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